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Prof. Jan Teunen

Resonanz

Tolles Büro = Dopamin

Prof. Jan Teunen nennt sich selbst Cultural Capital Producer und ist überzeugt: Aus den Büros dieser Welt kann die Kraft ausgehen, die Gesellschaft zu verändern. Er sagt: Das Potenzial von Mitarbeitern kann sich nur an Orten entfalten, die den Menschen Qualität bieten. Er fordert Gewächshäuser für Kreativität statt seelenloser Toträume. Davon profitieren nicht nur die Menschen, sondern auch die Unternehmen – weil ihre Mitarbeiter kreativer, produktiver und motivierter sind. Der Weg dahin? Führt zurück in die Vergangenheit. Wir von conceptsued° und Modal M helfen internationalen Unternehmen seit mehr als zehn Jahren, maßgeschneiderte Bürokonzepte zu entwickeln. Grund genug für uns, mit Prof. Teunen über Sinn und Zweck von Arbeit, Büro und Leben zu sprechen.

Herr Prof. Teunen, auf Ihrer Visitenkarte lesen wir eine ziemlich ungewöhnliche Berufsbezeichnung.
Ich bin Cultural Capital Producer. Das ist einer, der von außen in ein Unternehmen hinein geht als Berater. Ich kümmere mich dort um alles, was nicht in Bilanzen ausgewiesen ist. Das sind die drei „Ws“. Die Werte. Das Wissen. Das Wirken. Und zum Wirken gehört auch die wirksame Kommunikation.

Können Sie das konkretisieren?
Ich helfe meinen Kunden dabei, sich weiter zu kultivieren. Bis ein Gleichgewicht entsteht zwischen wirtschaftlicher und ethischer Verantwortung. Das ist die Voraussetzung zum Entstehen einer konstruktiven Unternehmenskultur. Jedes Unternehmen hat natürlich eine Kultur, aber es gibt auch zerstörende Kulturen. Menschen fühlen sich geborgen in einer Kultur, die den Menschen ernst nimmt und individuelle Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigt. Das ist ein Erfolgsfaktor für Unternehmen. Werte. Wissen. Wirken.

Die Diskussion um mehr Werte in Unternehmen ist nicht neu. Es war so um das Jahr 2000 herum, als plötzlich viele das Thema „Corporate Social Responsibility" für sich entdeckt haben. Was war da passiert? Gab es einen konkreten Auslöser für das Umdenken?
Es hat einen kollektiven Bewusstseinssprung gegeben. Die Menschen sind kritischer, mündiger und informierter geworden. Sie verlangen einfach mehr von Unternehmen. Deswegen haben die meisten Unternehmen begonnen, Produkte und Marktorientierung ausdrücklich auf die Gesellschaftsorientierung zu erweitern. Das ist eine wunderbare Entwicklung.

Gilt das für alle Branchen? Kann auch die Finanzbranche nachhaltig arbeiten in diesem Sinne?
Natürlich. Wenn sie Geld nicht als Mittel sieht, sondern als Energie, die dazu da ist, die Welt auf die neue Kreation vorzubereiten.

Wie bitte: Auf die neue Kreation?
Im Grunde genommen ist es die Aufgabe der Wirtschaft, die Globalisierung zu beschleunigen. Hin zu einem Ziel, das ich Globalität nenne. Globalität meint ein mehr an Wohlstandsverteilung in der Welt und ein mehr an Zusammenarbeit in der Welt. Letztendlich, damit für die noch nicht Geborenen eine lebenswerte Welt bleibt. Dabei spielt das Thema Büro eine eminent wichtige Rolle.

Warum messen Sie dem Büro eine solche wichtige Rolle bei?
In der modernen fortgeschrittenen Welt ist die Büroarbeit zur eigentlichen gesellschaftlichen Tätigkeit geworden. Man könnte sagen: Das Büro ist ein Steuerungsinstrument für alle Prozesse, die die Welt verändern. Von der Qualität des Instrumentes, also vom Büro, ist es abhängig: Geht es in die richtige Richtung oder nicht? Ein Büro, das dominiert ist von wirtschaftlicher Rationalität, laugt Menschen aus und bringt sie nicht in ihre Kraft. Das sind seelenlose „Toträume“, wie ich sie nenne. Es wird in Zukunft darum gehen, dass die Arbeitsräume in Unternehmen wieder beseelt werden. Das wird noch notwendiger durch die fortschreitende Digitalisierung, wodurch sehr viel Arbeit aus den Büros verschwindet. Es werden sehr viele Arbeitsplätze vernichtet, was im Grunde genommen ein Segen ist. Menschen sind nicht gemacht für Routinearbeiten.

Wenn wir über Bürokulturen sprechen, sprechen wir also über mehr als Effizienz. Das Büro ist demnach eine Keimzelle, von der aus ein weltweiter Wertewandel ausgeht?
Ja.

Wo befinden sich deutsche Unternehmen auf dem von ihnen beschriebenen Weg?
Wir befinden uns zumindest nicht in einer Krise. Wir stecken fest in einem Dilemma. Das heißt, wir können nicht weitermachen wie bisher. Wir können auch nicht zurückgehen über den gleichen Weg. Aus einem Dilemma muss man raus durch Transformation. Und die Unternehmen, nicht nur in Deutschland, befinden sich aktuell am Ende eines so genannten Macro Shift's.

Was bedeutet das?
Wichtig war für mich der ungarische Wissenschaftsphilosoph Ervin László, der schon mehrmals für den Nobelpreis vorgeschlagen wurde. Nach seiner Auffassung ist die Welt nicht mechanistisch und fragmentiert, sondern eine in sich verwobene, essentiell holistische, das heißt ganzheitliche Welt. Der Kosmos ist lebendig, und die Menschen sind keine isolierten Einzelwesen. Er beschreibt also den Übergang vom rationalen Denken hin zum ganzheitlichen Denken. Die Unternehmen – das ist ja die stärkste Kraft in der Gesellschaft – müssen eine kritische Masse bilden für den Durchbruch auf eine höhere Ebene. Und wenn das gelingt, dass wir durchbrechen auf eine höhere Ebene, dann kommt das ganze System in eine bessere Verfassung. Und wenn es nicht gelingt, dann fliegt es uns um die Ohren.

Klingt vor sehr theoretisch. Was denken Sie praktisch?
Ich bin Optimist. Ich glaube, es gelingt uns, die kritische Masse zu erreichen und die höhere Ebene zu erreichen. Dann müssen sich jedoch die Umstände in den Unternehmen verändern und dann muss vor allem das Büro verändert werden.

Weil die Hülle das Denken und Handeln determiniert?
Sie kennen sicher die Gallup-Untersuchungen, in denen es heißt, dass nur 15 Prozent der Mitarbeiter in einem Unternehmen mit Herz und Seele dabei sind. 70 Prozent machen maximal Dienst nach Vorschrift, sind nicht motiviert und haben keine emotionale Bindung. 15 Prozent haben innerlich gekündigt. Das ist eine müde Truppe, damit werden wir die Globalität nicht erreichen. Aus der Hirnforschung wissen wir, was Menschen eigentlich motiviert.

Nämlich?
Die Qualität im Umfeld des Menschen ist der stärkste Motivationsfaktor. Dann fängt das Dopamin im Hirn am heftigsten an zu sprudeln. Der zweitstärkste Motivationstreiber ist die Qualität im Umgang. Aber auch das hat natürlich sehr viel mit dem Umfeld zu tun.

Ganz platt: tolles Büro = Happiness durch Ausschüttung von Dopamin?
Das Büro muss dafür nicht bunt sein. Wir brauchen auch keine Bespaßung. Das Büro muss stimmig sein. Die Arbeitsumgebung muss stimmig sein, damit die Menschen gut gestimmt auf die Welt zugehen. Das muss das Büro machen. Dann kann es auch ein minimalistisch graues Büro sein, wenn es gut gemacht ist, wenn es stimmt.

Aber schön darf es auch sein?
Im Mittelalter haben schwangere Frauen, die schöne Kinder haben wollten, sich mit schönen Sachen umgeben. Die Schönheit ist Dünger für die Kreativität. Die Büros müssen Gewächshäuser für Kreativität werden. Die Firmen müssen geflutet werden mit Schönheit. In der Regel fehlen aber das Wissen und Bewusstsein diesbezüglich.

Von wo muss das Bewusstsein ausgehen? Von oben? Von unten?
Es muss von der Führung ausgehen. Die Kultur folgt immer der Kultur der Führung oder sie erfolgt nicht. Es ist nicht nur die Aufgabe der Führung, die Komplexität zu verwalten oder zu managen, sondern das zu erneuern. Dafür muss man weise sein. Und alle, die an einer Unternehmensspitze sind und nicht weise sind, sind dafür fehl am Platz. Das kann man in der Regel schnell beurteilen.

Treffen da aktuell verschiedene Ansichten in der Arbeitswelt aufeinander?
Wer das Neue will, braucht ein langes Gedächtnis. Man muss zurückgehen in der Zeit. Um in der Zeit zurechtzukommen, fragmentieren wir. Das heißt, wir tauschen das Einfache gegen das Vielfache und wir finden kein Ende mehr, weil wir den Anfang verloren haben. Wenn wir also über das Büro reden, müssen wir zurück zum Ursprung des Büros.

Wie sah das aus?
Es wurde im 13. Jahrhundert im Koster erfunden, weil ein Mönch es Leid hatte, mit seinen schweren Büchern herumzulaufen. Das Kloster wurde von einem weisen Abt geführt, der in sich einen Dreiklang entwickelt hatte von Emotionalität, Sozialität und Rationalität. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Weisheit entstehen kann. Der hat auch seine Mönche zunächst als Mensch gesehen und nicht als Mönch. Er behandelt alle gleich, achtet aber auch darauf, was das Individuum braucht. Der eine Mönch braucht einen Kasten Bier und ein anderer Holz aus der Schreinerei, weil er es leid war, ständig seine schweren Bücher durchs Kloster zu tragen. Er wollte etwas, das wir heute Schreibtisch nennen. Mit dem Holz hat er experimentiert und zunächst ein Pult gebaut. Zum Experimentieren gehört das Scheitern, und das Pult funktionierte nicht; denn die Bücher sind immer wieder heruntergefallen. Seine Mitbrüder haben das Scheitern beobachtet und ihre Hilfe angeboten. Gemeinsam wurden ungehobelte Bretter aus der Schreinerei geholt und zwei Holzböcke – Co-Kreation vom Feinsten – und schon war der erste Schreibtisch fertig. Dann hat er auf das Holz geschaut und auf seine in Leder und Pergament eingeschlagenen Bücher und dachte sich, das geht schief. Also nahm er einen Teil seiner Kutte, den Filzstoff, und hat das auf den Tisch gelegt. Dieses Teil hieß „Bura“. Da kommt der Begriff „Büro“ her.

Was sagt uns die Geschichte?
Was daran doch wirklich interessant ist: Das Büro wurde explizit erfunden, um das Kostbare zu schützen. Heute sind das Kostbare in den Büros die Menschen und ihre Kreativität, und beides wird oft nicht geschützt.

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